Was in einem Trans-Kind vor sich geht
Stell dir vor du bist ein 7 Jahre altes Kind und du merkst, dass irgendetwas an dir anders ist, als an den anderen Kindern in deiner Klasse. Du kannst es nicht mit Worten beschreiben, weil es halt nur so ein Gefühl ist. Du kannst dich irgendwie nicht mit den anderen in deiner Klasse identifizieren, weil irgendwas ganz einfach anders ist an dir. Im Grunde bist du Kerngesund. Du hast keine körperlichen Einschränkungen, bist geistig ganz normal entwickelt und dennoch ist da etwas, was anders ist.
Und von dem Moment an wo du merkst, dass da etwas anders ist an dir, lässt es dich nicht mehr los. Du denkst am Anfang nur ab und zu darüber nach, aber je länger dieses Gefühl da ist, desto weniger lässt dich der Gedanke los. Da du das ganze nicht in Worte fassen kannst, kannst du auch mit niemandem darüber reden.
Du ziehst dich mehr und mehr in dein Schneckenhaus zurück. Du hast keine Lust mehr, mit deinen Freunden was zu unternehmen. Statt dessen bleibst du lieber alleine zu Hause und grübelst.
Du wirst älter und das Gefühl ist immer noch da.
Und natürlich haben auch mittlerweile einige Menschen in deinem sozialen Umfeld bemerkt, dass du anders bist. Einige halten dich für Homosexuell, beschimpfen dich vielleicht sogar. Und erst denkst du, dass du es tatsächlich sein könntest. Vielleicht bist du es auch. Aber irgendwann merkst du, dass es das (allein) nicht ist.
Du bist 13 Jahre alt, die Pubertät hat bereits eingesetzt und du merkst, dass sich diese Pubertät falsch anfühlt. Du ekelst dich vor deinem eigenen Körper und du meidest es, deine Genitalien zu betrachten oder gar anzufassen. Auch unter der Dusche schaust du nicht hin, wenn du dich an den entsprechenden Stellen wäschst, weil der Ekel einfach zu gross ist. Du hast sogar schon darüber nachgedacht, dir die unliebsamen Geschlechtsteile abzuschneiden.
Du liest viel und irgendwann stolperst du in einer Jugendzeitschrift oder im Internet über einen Artikel, der sich mit dem Thema "Transsexualität" befasst. Und du merkst, dass es genau das ist! Dein Körper passt nicht zu deinem Geist, zu deinem Denken, zu deinem Fühlen.
Erleichterung macht sich breit! Endlich hast du einen Begriff für dieses Gefühl! Und du weisst, dass es möglich ist, deinen Körper anzugleichen an dein Denken und Fühlen! Aber du bist minderjährig und noch lange nicht 18. Ohne deine Eltern geht hier also nichts.
Und schon fällst du in ein tiefes Loch, denn du bist dir sicher, dass deine Eltern niemals zulassen werden, dass du zu einem Arzt gehst und dich deswegen behandeln lässt. Eher noch schicken sie dich in ein katholisches Kloster, wo man dir den "Unfug" austreiben wird.
Da du dich in den letzten Jahren mehr und mehr in dein Schneckenhaus verzogen hast, hast du keine wirklichen Freunde mehr und niemanden, dem du dich anvertrauen kannst. Du weisst zwar jetzt, was mit dir los ist, aber du weisst auch, dass dieses Wissen dir nichts nutzt. Und du hegst die Hoffnung, dass es nur eine pubertäre Phase ist, die sich noch "rauswächst".
Dennoch,du ziehst dich noch mehr zurück, deine Noten werden schlechter und natürlich fragen dich deine Eltern auch mal, was eigentlich mit dir los ist. Aber du traust dich nicht, mit ihnen zu reden. Du hast Angst vor ihrer Reaktion. Deine Eltern geben dir Hausarrest und kürzen dein Taschengeld. Aber das ist dir egal, weil du ja eh nicht mehr vor die Tür gehst.
Der seelische Schmerz steigt von Tag zu Tag und irgendwann ist dieser Schmerz so gross, dass du anfängst, dich selbst zu verletzen. Du fängst an, dich mit einem scharfen Gegenstand zu ritzen oder du schlägst mit einem harten Gegenstand solange auf ein Körperteil ein, bis es grün und blau ist. Der körperlich Schmerz betäubt zumindest für eine kurze Zeit deine seelischen Qualen. Natürlich fragen sich deine Eltern warum du bei 30 Grad im langärmeligen Shirt rumläufst, aber sie schieben dein Verhalten auf die Pubertät. Wenn sie durch Zufall doch mal einen Schnitt auf deinen Armen oder einen dicken Bluterguss sehen, dann lügst du ihnen was vor.
Du verlierst die Lust am Leben, denkst immer öfter über Selbstmord nach. Du willst doch eigentlich nichts anderes, als glücklich sein. Du willst, dass dein Körper und dein Geist eins sind. Du bist mit deiner Kraft völlig am Ende. Planst schon, wie du dir das Leben nimmst. Fängst an, einen Abschiedsbrief zu schreiben, den du dann auf dein Bett legen willst.
Dann suchst du ein letztes Mal im Internet nach Informationen und du findest ein Forum über Transgender. Du meldest dich dort an und du siehst, dass du nicht alleine bist auf dieser Welt. Du siehst, dass es noch mehr Menschen gibt wie dich. Und du schöpfst neue Hoffnung! Du findest Freunde in dem Forum. Freunde, die zwar hunderte von Kilometern weit weg sind, die dich aber aufmuntern, dir Mut zusprechen und die dich auffangen, wenn du fällst. Du siehst, wie glücklich die Menschen sind, die den Weg schon hinter sich haben und du willst genauso wie sie diesen Weg gehen! Koste es, was es wolle!
Und endlich findest du den Mut, dich zu outen und du merkst, dass du dich mit jedem Outing besser fühlst! Weil einige Menschen in deiner Umgebung, in deinem täglichem Umfeld doch schon längst wussten, was mit dir los ist. Sie haben sich nur nicht getraut, dich darauf anzusprechen. So wie du dich nicht getraut hast, mit ihnen zu reden. Und endlich hat dein grösstes Leid ein Ende: Das Gefühl der Einsamkeit!
Dein Leben kann nun endlich beginnen!